AGBeratung

Studieren geht vor Delegieren

10.12.2021

In unseren Beratungen lernen wir zu Beginn oft nur Einzelne aus Projektgruppen, Initiativen oder Betrieben kennen. Nicht wegen Platz- oder Zeitproblemen. Die Gemeinschaften schicken oft nur Delegierte. Oder einzelne Mitstreiter*innen halten aus eigenem Antrieb bestimmte Fragen für dringend beratungsbedürftig. Soweit so gut, als erste Kontaktaufnahme und Klärung des Beratungsbedarfs. Doch nicht selten bleibt es dabei.

Bei Vorhaben mit mehreren Beteiligten, werden oft AG’s oder Einzelne mit der Bearbeitung von Themen beauftragt. Klingt zunächst nach effektiver Arbeitsteilung und zielführender Handlungsfähigkeit…und kann es durchaus auch sein. Regelmäßig treffen wir in allen diesen Projekten durchgängig mindestens zwei Arbeitsgruppen bzw. Delegierte an und zwar mit den Themen: ‚Finanzen/Steuern‘ und ‚Rechtsformen‘. Und genau diese Vertreter*innen sitzen uns dann für gewöhnlich gegenüber. Und nicht selten bleibt es dabei.

Die gut gemeinte Arbeitsteilung und die damit erhoffte Erleichterung, bringen leider nicht nur Vorteile für Gruppen. Sie können auch dauerhafte Fundamente u.a. für Hierarchisierung, Informationsgefälle, ungleiche Kompetenzen bei Entscheidungen und ungewollte Projektentwicklungen legen. Und somit das Gegenteil der erklärten Selbstverständnisse bewirken. The back side of the moon.

Ja, wir geben zu, auch für uns Berater*innen gehören Finanzen, Steuern oder Rechtsformen nicht

zu unseren thematischen Lieblingsspeisen. Und so geht es in vielen Projekten: damit möchte ich eigentlich nichts zu tun haben, sollen sich doch andere darum kümmern, es gibt Wichtigeres für unser Vorhaben. Leider ist das in einer kapitalistischen Gesellschaft eine illusionäre, wenn nicht sogar eine gefährlich naive Haltung. Auch wenn es vielleicht nicht das ‚Richtige‘ im ‚Falschen‘ geben kann. Mindestens das machbare Mögliche, das Erstreiten oder Verteidigen von Freiräumen, das Ausreizen der Spielräume oder der optimale Schutz der eigenen Ziele. Dabei sollten wir uns nicht den veganen Aufstrich vom Vollkornbrot nehmen lassen. Und Mut entwickeln. Dazu gehört u.a. eine gemeinsame Auseinandersetzung mit den Mitteln und Absichten unserer Gegner*innen, besonders bei den o.g. Themenfeldern. Herrschaftswissen schafft u.a. Macht in Gruppen.

Welche Folgen können wir durch interne Delegation dieser Themen in Projekten häufig erkennen? Wir wagen hier eine unvollständige Auswahl anzutreffender Auswirkungen:

Die enorme Wirkung der äußeren (Rechts-)Hülle auf die innere Verfasstheit und Projektziele wird nicht ausreichend erkannt. Die Wahl z.B. eines gemeinnützigen Vereins lässt völlig andere Spielräume, nach innen und außen, als eine profitorientierte GmbH. Der Fokus gerät (zu) schnell auf die Frage, was dürfen wir machen und was verlangen Banken, Behörden und Finanzämter? Die sogenannten ‚harten‘ Themen. Und nicht darauf, was wollen wir und wie können wir das maximal auch formal absichern! Entsprechend verlagert sich auch die Wertigkeit der internen Projektvorbereitung bzw. – entwicklung. Kommunikation, Umgang mit Gegensätzen, bedarfsgerechte finanzielle Umverteilung, gegenseitige Fürsorge, Streitverfahren, etc. stehen dadurch oft nicht im klaren Rampenlicht. Das Wissen um diesen lästigen Dschungel vermehrt sich nur bei einigen Wenigen, an deren Votum eine Gruppe oft nicht mehr vorbei kommt. Was letztlich geht und was nicht, liegt dann oft in der Hand einiger Mitstreiter*innen. Die Projektgruppe muss trotzdem auf Grundlage einer völligen ungleichen Kompetenz- und Wissensverteilung konsensuelle Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die oftmals fundamentale Auswirkungen haben, Wege eröffnen oder verhindern.

Falls sich Mitstreiter*innen aus bereits bestehenden Gruppen jetzt zurücklehnen, ist die schlechte Nachricht: nein, ob bei Gründungen oder im alltäglichen Betrieb, es ist nicht vorbei, dieses Gefälle zu erkennen und zu verändern. Die Aufgabe bleibt für uns alle. Wie können wir Bedingungen, die uns aufgezwungen werden oder wir uns selber abverlangen, so handhaben, verändern und zuweilen als Werkzeuge nutzen, um unsere Ziele zu erreichen? Ohne dabei Bänker*in, Steuerberater*in oder Rechtsanwält*innen zu werden!