AGBeratung

Kollektiv, geht meistens schief…?

27.04.2021

In diesem geflügeltem Wort der 80iger Jahre steckte viel Selbstironie. Und ein Hinweis auf die mitunter große Differenz zwischen unseren hohen Ansprüche und dem wirklich gelebten Alltag in der widerständigen Selbstverwaltung. Nachts aus Protest die Türschlösser von Tschibo-Läden (damals verbreitete Kaffeeläden) verkleben, jedoch tagsüber dort für wenige Groschen billig eine Tasse schlürfen. So widersprüchlich sah unser progressive Alltag vor 35 Jahren durchaus verbreitet aus, wie das eher witzige Beispiel zeigt.

Diese Brüche, diese Gegensätze im Alltag sind uns bis heute erhalten geblieben. An vielen Stellen unserer Bemühungen. Denn letztlich sind sie in einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft nicht zu vermeiden. In der Beratung von Projekt- und Hausgruppen, Initiativen und Kollektiven treten sie uns in diversen Erscheinungsformen gegenüber. Eines der vielfältigen Phänome soll heute näher beleuchtet werden. Auch auf die Gefahr, dass die Kolumne dadurch wieder einmal die Rolle als Mistmade einnimmt. Kaum zu übersehen und längst auch nicht nur bei länger existierenden Gemeinschaften: der kontinuierliche Gruppenkern wird tendenziell kleiner, bei gleich bleibender oder sich sogar vergrößernden Anzahl von Mitgliedern in den Projektgruppen insgesamt. Der Einstieg in ein Kollektiv, die verlässliche bzw. verantwortliche Mitarbeit, wird längst nicht von allen Mitwirkenden gezielt angestrebt oder sogar eingefordert. So ergibt sich bereits beim Projektstart oftmals ein entsprechendes Bild: eine handvoll entschiedene Mitstreiter*innen werden mindestens von doppelt so vielen interessierten Satelliten umschwirrt…vielleicht, eventuell, zeitweise, mal schaun’… .

Zu Beginn eines Vorhabens ist das durchaus erklärlich. Schließlich sind anfänglich hohe Risikobereitschaft bei noch unklarer Entwicklung und fraglichem Erfolg gefordert. Die Mutigen gehen voran. Doch diese dosierte Annäherung ist auch im weiteren Projektverlauf festzustellen und durchaus verbreitet der Normalfall in Gemeinschaftsunternehmungen. Analog zum Gemeinschaftsessen: ‚wenige wollen Rühren, aber viele wollen Löffeln’, so der lakonische Erfahrungsgrundsatz erfahrener Kollektivist*innen. Alle sind gleichberechtigt, alle entscheiden mit, alle tragen zusammen die Konsequenzen? Wie passen die erkennbaren Unterschiede beim Mitwirken zu basisdemokratischen Idealen? Häufig arbeiten in Betrieben sehr wenige Kollektivist*innen mit mehrheitlich zeit- und teilweisen Mitarbeiter*innen. Wird das gemeinsame Wohnen lediglich von einem Rest-Hausrat organisiert. Geht Initiative in Projektgruppen stets von den selben Mitgliedern aus, um nur einige Praxisbeispiele anzudeuten. Und in sehr extremen Fällen steht nur noch Einzelne aktive hinter einem öffentlich gehandelten Projektnamen.

Für dieses Phänomen gibt es viele Erklärungen und auch sehr akzeptable Gründe. Über einige haben wir vorangehenden Kolumne bereits berichtet: Multitasking, mangelnde fachliche Kompetenz, Begrenzung bei persönlicher Einlassung, keine Festlegung bei der Lebensgestaltung, solidarische Verantwortung nicht gelernt, u.v.a.m..

Andererseits werden z.B. Mitstreiter*innen in Kollektiven auch nur bedarfs- oder zeitweise benötigt, reicht es ökonomisch nicht für eine Vergrößerung, ist eine Einigung bereits in kleinster Runde schwierig genug, usw. Auch mögliche Folgen haben wir wiederholt dargestellt: u.a. Hierarchisierung, ungleiche Verantwortungs- und Arbeitsteilung, Entscheidungsschwächen, Entwicklungsstillstand und ungleicher Einfluss auf Entscheidungen.

Kein Wunder also, dass diese Kolumne auch nach Jahrzehnten nicht die Zauberformel für einen Umgang mit dieser Situation liefern kann. Allerdings wollen wir sie dazu nutzen, um zu Mut und Ehrlichkeit zu ermuntert, darüber zu sprechen, diese Unterschiede mit allen Konsequenzen anzuerkennen. Und nicht darüber hinwegzugehen, als ob alle gleich beteiligt, gleich eingebunden und gleich berechtigt sind. Auch wenn wir es gerne so hätten. Es hilft nicht, diese unangenehme und unbequeme Situation schön- oder wegzureden, nach innen und außen. Vielmehr unsere Projektstrukturen auf diesem Hintergrund entsprechend zu gestalten und strukturell auszurichten. Das können wir tatsächlich tun!