Wir müssen professioneller werden?
28.11.2015Dieser Ruf erschallt wie der Refrain eines Liedes in einem anschwellenden Chorgesang in vielen Gemeinschaftsprojekten, Vereinen oder Betrieben immer lauter und hartnäckiger. Und zwar nicht von außen, sondern aus den eigenen Reihen. Über Jahrzehnte wollten gesellschaftskritische Gruppen vor allem unausstehlich, widerspenstig, querdenkend, solidarisch oder libertär sein, pflegten auf alle Fälle ihren unangepasstes Auftritt: illegal – scheißegal! Und nun Professionalität als neue ideale Tugend?
In vielen Beratungen, treffen wir meistens auf sehr diffuse und nur in Teilbereichen konkrete Vorstellungen was mit Professionalität gemeint bzw. gewollt wird. Erstaunlich, bei dieser vielstimmig und manchmal mit Vehemenz vorgetragenen Forderung, nicht selten mit der Drohung des Ausstiegs gewürzt.
Sich zu einem Geschäft oder Gewerbe öffentlich bekennen, sagt der Duden, eine Begriffsdefinition aus dem 16. Jh. und daraus entlehnt sich dann ab dem 19. Jh. das Adjektiv ‚professionell’ als Bezeichnung für berufsmäßig. Hört sich erstmal ziemlich harmlos an, wird aber erst im realen gesellschaftlichen Kontext inhaltlich aufgeladen. Wie mensch sich heute zu seinem Gewerbe bekennt, sich überhaupt wirksam bekennen kann, regelt das Wirtschaftsleben. Briefpapier, Logo, origineller Titel, Kontaktdaten, Produktbeschreibung, homepage, Online-Erreichbarkeit, newsletter, u.ä. sind dabei die recht nachvollziehbaren Insignien.
Doch in den Beratungsgesprächen taucht vermehrt eine ganz andere Seite auf: entscheidungsschneller, kunden_innenorientierter, effektive Arbeitsteilung, Spezialisierung, rationelle Prozesse, mehr Geld verdienen, werbewirksamer Marktauftritt, Profil als Marktteilnehmer, Buchhaltung ausgliedern, u.v.a.m. Es hört sich einerseits so an, wie ‚höher, schneller, weiter’, drückt jedoch das Bedürfnis aus, ‚richtig’ am Markt mitspielen wollen. Nicht nur als leicht angestaubte Alternative im Probenraum, sondern im vollen Orchester. Andererseits werden umständliche Meinungsfindung, langwierige Entscheidungsprozesse, zu langsames Reagieren, ökonomische Risikoarmut, zu viele soziale ‚Nebenleistungen’ (u.a. Wissenvermittlung, Praktika, Bedarfslöhne), die ewige Priorität auf individuellen Befindlichkeiten und die Mühen der ‚doppelten Buchführung’ beklagt. Hier steht ‚professionell’ als Synonym für ‚geschäftstüchtig’ und letztlich poltert so die Rentabilität und die Anpassung schnell als einzige Messlatte für den Erfolg und die Zufriedenheit mitten unter uns.
Ja, es ist anstrengend und gelegentlich auch überfordernd basisdemokratische, ökonomische, ökologische und soziale Ansprüche im Projekt dauerhaft und parallel zu pflegen, innovativ umzusetzen und immer wieder situativ neu zu erfinden. Ja, die Ablauf- und Organisationsstrukturen in vielen Projekten haben deutlich Luft nach oben, vieles ist zu umständlich, zu schwerfällig, zu unflexibel. Ja, es stimmt auch, die öffentliche gesellschaftliche Anerkennung, das Mitreden und gefragt zu werden fühlt sich attraktiver an als die ewig quengelnde Hinterhofgöre zu sein.
Doch wir machen oft die Entdeckung, dass die Ausrichtung auf marktgewöhnliche Lösungen, die Impulse für Arbeiten an wirkungsvollerer Kommunikation, handlungsfähigen Plenas, bedarfsorientierter Ökonomie, trickreicher Buchhaltung, kreativen Veränderungen und schlauer Planung in Projekten lähmt: es geht ja nicht anders! Die vorhandene Energie und die Erfahrung wären selbstverständlich viel gewinnbringender in die Revitalisierung basisdemokratischer Prozesse investiert, als voreilig in Anpassungsprozesse. Ohne das Thema Transformation hier ausbreiten zu wollen, selbstverständlich wird der Kapitalismus ‚unsere’ Strukturen adaptieren. Ob sie sich Solidarische Ökonomie nennen, Beitragen statt Tauschen, nichtkommerzielles Leben, Belegschaftsbetriebe, hierarchiearmer Umgang oder direktkreditgestützte Finanzierungsmodelle für Wohnimmobilien. Natürlich sind viele Marktakteure neugierig, davon verwertbare Bruchstücke für ihre Interessen abzustauben. Das wirkt gelegentlich schmeichelnd und verlockend, doch kein Grund für übertriebenes oder gar absichtliches Entgegenkommen.
Dem zu widerstehen, sich nicht von den egalitären und selbstverwalteten Grundsätze abbringen zu lassen, sich den basisdemokratischen Mühe des Alltages immer wieder erneut zu stellen, verlangt viel, sehr viel. Dem inneren und äußeren Anpassungsdruck werden wir besser aushalten, wenn wir uns gegenseitig Ideenreichtum und Bestärkung teilen, wenn wir uns bei der Analyse der Schleichwege der Marktmechanismen unterstützen und uns der sogenannten Professionalität nicht als Allheilmittel verschreiben (lassen).
Kein Wunder, dass der Begriff ‚Amateur_in’ im Kapitalismus völlig auf den Hund gekommen ist, als stümper- und anfängerhaft denunziert wird: gewollt – doch nicht gekonnt. Dabei bezeichnet der Begriff etwas aus Liebe und Leidenschaft tun, einem Ziel sehr zugetan sein, etwas gerne tun, von Herzen kommend… klingt irgendwie sympathischer, oder?
Willi Schwarz