AGBeratung

Nein, nicht schon wieder……

08.11.2017

…. das Thema hatten wir doch schon so oft!“ Ein kollektives Aufstöhnen macht regelmäßig in Betrieben und Projekten die Runde, wenn Dauerbrenner auf die Tagesordnung gerufen werden. ‚Wie wollen wir damit umgehen?’ bildet die Auftaktformel zu oftmals gequälten und ungeliebten Debatten, „Bitte nicht.“ steht in den Augen vieler geschrieben. Im Gründungsschwung erlebt die Übereinstimmung oft großzügige Höhenflüge. Nach längerem Projektleben sind die Haken und Ösen dann bestens bekannt, wiederholen sich die Argumente und Sichtweisen, es folgen die Mühen der Ebene…

Nicht schon wieder? Doch! Immer wieder stellen sich wiederkehrend Fragen, Widersprüche, veränderte Rahmenbedingungen, neue Ideen, Konflikte, unvorhersehbare Belastungen und vieles mehr dem gewünschten und erholsamen Gleichlauf im Gruppenalltag in den Weg. „Das haben wir doch schon beschlossen“, lautet nicht selten die letzte, müde und doch vergebliche Gegenwehr. Selbstverwaltung, Basisdemokratie, Gleichberechtigung, steht auf jeder kollektiven Leuchtreklame. Doch ist sie mitunter so nervend und anstrengend herzustellen, dass Empathie, Geduld und die viel beschworene gegenseitige Achtsamkeit überfordert sind.

Trotz alledem gibt es keine echte und wirksame Alternative dazu. Die sozialen Gemeinsamkeiten, die kollektiven Ziele, die individuellen Wünsche und die politischen Absichten müssen regelmäßig auf Übereinstimmung überprüft, alte Regeln ggf. korrigiert werden. Die Wohnraum- und Mietenverteilung in Hausprojekten, die Auftragsannahme ‚normaler’ Profitunternehmen bei Handwerkskollektiven, der Drittmittelantrag bei der Deutsche Bank Stiftung, die Verkaufspreise bei Handelsgeschäften, Einstiegskriterien, die Entscheidungsverfahren, die Bündnisfragen bei politischen Vorhaben…usw. Das alles sind u.a. zentrale Themen, die periodisch auf dem Plenumstisch landen und da auch hingehören. Jedenfalls wenn eine lebendige, solidarische und bedürfnisorientierte Projektkultur erhalten und weiterentwickelt werden soll.

Die individuellen Prioritäten und Lebensumstände ändern sich fortlaufend. Die wirtschaftlichen und marktbedingten Rahmenbedingungen zwingen zu neuen Ausrichtungen. Die Zusammensetzung der Projektgruppe wechselt. Unvorhersehbare Ereignisse fordern nicht erprobte Reaktionen. Und politische Geschehnisse verlangen spontanes Handeln. Um nur einige Faktoren als Beispiele zu nennen, die permanent im Fluss sind. Sie können (leider) nie abschließend, endgültig oder gar vorausschauend in den kollektiven Grundstein gelegt werden. Jedenfalls nicht schadlos.

Andererseits wünscht sich die große Mehrheit selbstorganisierter Menschen einen absehbaren Alltag, eine verlässliche Organisationsstruktur, also letztlich einen ‚sicheren’ und kalkulierbaren Umgang. Was wäre leichter nachvollziehbar? Die täglichen vielfältigen Anforderungen in Gruppen machen es schwer genug den verabredeten Fahrplan einzuhalten…und dann kommen ständig die Standort- und Kursbestimmungen dazu. Streit und Konflikte entstehen nicht selten aus dieser persönlichen und gruppendynamischen Anforderung in Permanenz. Und auch individuelle Ausstiege, der Wechsel in andere Projekte, die Rückkehr in bürgerliche Leitplanken des Lebens und/oder sonstige enttäuschte Kehrtwendungen sind nur zu verständlich: die Kraft und Energie reicht nicht immer für die nötigen Auseinandersetzungen aus, sie kann irgendwann auch mal einfach zu Ende gehen!

Wir wollen absolut keinen Pessimismus verbreiten. Doch wir erleben es häufig, dass sich entweder die Strukturen verhärten oder gerade hoch Engagierte nach einer gewissen Zeit aufgeben. Diese mühevolle, nicht so glamouröse Seite der Autonomie und Selbstverwaltung wird zu selten besprochen.

Es gibt leider kein Patentrezept für eine gute Balance, wir sind dazu ‚verdammt’ im Kontakt und Gespräch miteinander zu bleiben. Vielleicht würde uns ein wenig mehr Nachsicht und Großzügigkeit mit uns selber und anderen gelegentlich den größten Gefallen tun.