
Wir wollten es doch anders machen, eigentlich….
15.09.2025Wer kennt sie nicht im Alltag von Kollektiven und Projekten? Situationen, in denen schnell gehandelt werden muss, um drohende Folgen zu vermeiden oder Chancen zu nutzen. Und dabei können die gemeinsamen Grundsätze für Entscheidungen oft nicht eingehalten werden. Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen…. und normale Plenumsbeschlüsse dauern halt nun mal auch normal lang.
Welche dieser Ereignisse erleben wir in Gruppen z.B.? Ein Ladenlokal kann kurzfristig in sehr guter Lage angemietet werden, doch die geplante Betreiber*innengruppe besteht erst aus drei Leuten. Trotzdem anmieten? Ein Zulieferbetrieb kann den Rohstoff nicht mehr in der gewünschten Qualität beschaffen. Auf die Güte verzichten und weitermachen? Eine Startgruppe eines geplantes Kollektivs sucht noch Mitstreiter*innen, nur dauert dieser Prozess schon ungeduldig lang. Einfach trotzdem schon loslegen? Hergestellte Produkte finden immer weniger Käufer*innen. Ansprüche an Qualität/Preis runterschrauben? Ein unerwarteter Mehraufwand an Arbeit fällt an. Mitarbeiter*innen aushilfsweise beschäftigen? Der Gründungsprozess ist anstrengend und zeitaufwendig. Deshalb erstmal auf ausgiebige Debatten um ein Kollektivselbstverständnis verzichten? Ausstiege/Auszüge aus der Gruppe sind angezeigt. Bei Neubewerber*innen nicht so anspruchsvoll sein… oder kurzfristig auf einen offiziellen Projekteintritt erstmal ganz verzichten?
Es gibt zweifelsohne Gründe für unmittelbares und spontanen Handeln im Alltag. Entscheidungen, die im kleinen Kreis getroffen werden müssen. Oder schon vorab, bevor es überhaupt einen vollständigen Kollektivkreis gibt. Die finanziell scheinbar keine große Wahl lassen. Und die kurzfristig offensichtlich kaum Alternativen zulassen. Und, die alle von dem ursprünglichen Zielen und/oder von den vereinbarten Prinzipien einer Gemeinschaft deutlich abweichen können.
Alle kennen das manchmal zähe Gefühl bei Entscheidungsfindungen in Gemeinschaften…. das kann dauern! Andererseits müssen sie auch dauern, denn solidarischer und gleichberechtigter Umgang braucht Zeit und Einlassung. Somit im deutlichen Widerspruch zu den notwendigen Anforderungen an die Praxis von Gemeinschaften und besonders Kollektiven.
Aus unsere Sicht sind nicht die getroffenen Entscheidungen selber für die Gruppen das dauerhaft wirksame Problem. Vielmehr die dadurch unkontrolliert hingenommenen und verändernden Konsequenzen ggü. den eigentlichen Zielvorstellungen von Gruppen. Ein nicht wenigstens nachträglich erarbeitetes und beschlossenes Kollektivstatut hinterlässt eine dauerhafte Lücke im gemeinsamen Selbstverständnis. Ein unter Druck halbherzig aufgenommenes neues Kollektivmitglied oder Mitbewohner*in zwingt an der nächsten Ecke zum Konflikt und höhlt die gemeinsame Verantwortung aus. Eine reduzierte Produktqualität mindert die Identität, dem eigentlich gewollten Markenkern des Betriebes. Viele Aushilfskräfte und eine schrumpfende Kollektivgruppe führt zu einem Arbeitgeber*innenbetrieb. Frühe Grundsatzentscheidungen Einzelner manifestieren eine dauerhafte Hierarchie, oft von Anfang an. – Das alles m u s s n i c h t so eintreten, ist aber in der Praxis weit verbreitet sichtbar, leider…..
Es gibt kein eindeutig wirksames ‚Gegenmittel’. Wir alle wollen es ‚anders’ machen als ein ‚normales’ Unternehmen oder eine Wohnungseigentümergemeinschaft z.B.. Das verlangt viel ab. Neben Zeit und Nerven, vor allem kreative Lösungen, große Aufmerksamkeit, viel Mut und dem Aushalten von Verschiedenheit. So trägt z.B. die regelmäßige Beteiligung Außenstehender aus dem solidarischen Umfeld sehr erhellende Effekte bei. Die Verabredungen von regelmäßigen Gruppenfahrten geben Zeit für ausgiebige und grundsätzliche Palaver. Auch ein Vetorecht kann zumindest zeitnah die Überprüfung von Entscheidungen nachträglich erzwingen. Findet dafür selber eine für eure Gruppe wirksame Sollbruchstelle im Projektalltag, denn die gibt es. Damit Notlösungen nicht achselzuckend zur Normalität werden können.