AGBeratung

Zufrieden unzufrieden?

07.12.2014

…das ist doch der totale Widerspruch und in Gruppen überhaupt nicht möglich…, werden sicher viele denken. Jedenfalls diejenigen, die durch die Überschrift neugierig geworden sind. In dieser Kolumne versuchen wir nun seit über einem Jahr regelmäßig aus unserer Rolle als externe Berater_innen und Begleiter_innen Einblick in Dynamiken und Abläufe in Gemeinschaften zu geben, wie sie uns wiederkehrend und erstaunlich hartnäckig begegnen. Und die relative Zufriedenheit mit der Unzufriedenheit gehört unbedingt dazu.

Arbeitsüberlastung, suboptimale Arbeitsorganisation, Missverständnisse, verwaschene Entscheidungen, informelle Hierarchien, Zieldifferenzen oder Mangel an Flexibilität; die Liste der Gründe für eine Veränderung ist genauso lang wie in vielen Projekten geläufig. Diese Problemzonen sind entsprechend häufig auch der Anlass für eine Beratung, um sich nicht gefühlt ratlos weiter im eigenen Kreise zu drehen.

Jede_r Außenstehende_r beginnt natürlich mit einer Auflistung der benannten Schwierigkeiten, einer Analyse der Gründe, die Erhebung vorhandener Lösungsideen, die bisherigen vergeblichen Versuche der Gruppe, usw.. Und irgendwann kommt der Punkt, da wollen und müssen wir Berater_innen unserer Rolle und den Erwartungen aktiv gerecht werden, denn dafür wurden wir engagiert und schließlich auch bezahlt… jedenfalls meistens. Also greifen wir in unseren Bauchladen, der mehr oder weniger gut mit Methoden, Wissen, Erfahrung und Empathie gefüllt ist. Hintergründe und Bedingungszusammenhänge werden erhellt, Strukturen beleuchtet und schlussendlich bringen wir unsere eigenen Vorschläge ein, wie die Gruppe zukünftig effektiver, konstruktiver, zielgerichteter und erfreulicher agieren, sprich auf Erfolgskurs einschwenken könnte. So wird es erwartet, weil dringend erhofft.

Nicht immer, doch wiederkehrend wird dadurch ein paradoxes Rollenspiel eingeläutet. Aus der Gruppe kommen Zweifel an der Wirksamkeit der vorgebrachten Lösungen, welche zunächst meist gut begründet ausgeräumt werden. Allerdings nur, um neuen Bedenken Platz zu machen, die schon ausführlichere Erläuterungen durch die Beratungsperson nach sich ziehen. Spätestens jetzt folgen die standardisierten Einwände, ‚das haben wir schon probiert‘, ‚das bringt doch nicht die Lösung‘, ‚darauf einigen wir uns nie‘ u.ä., während die externe Beratung sich nun ausgiebig, detailliert und werbend abstrampelt und langsam voll in die Offensive geht, dabei noch immer neue Ideen aus dem Hut zaubert. Ohne Erfolg!

Diese nach oben offene Konkurrenzspirale zwischen genialen Ideen und konsequenter Verneinung kann kein konstruktives Ende nehmen. Mal abgesehen davon, dass so eine der klassischen Berater_innen-Fallen aussieht, warum verweigert sich eine Gruppe empathisch aller Lösungsansätze, wenn es doch so viele Probleme gibt? Die Antwort ist ganz einfach: die Gruppe darf das! Wer will ihr den Weg und den Zeitpunkt für Veränderungen vorschreiben? Welche zusätzlichen Probleme werden durch die möglichen Veränderungen erst geschaffen? Doch es gibt noch eine zweite einfache Antwort: es sind schlicht die ‚falschen‘ Lösungen für die ‚richtigen‘ Probleme. Die Beratung hat sich deshalb nicht gelohnt, der/die Expert_in hat die eigentlichen Schwierigkeiten einfach nicht richtig verstanden und/oder ist nicht besonders fähig. Diese Schuldzuschreibung wird in einem aktuellen Fall dadurch bekräftig, dass ein Projekt das ausgemachte Honorar nicht zahlt: hat ja nüscht jebracht!

Und es gibt mindestens noch eine dritte Antwort, die sehr verbreitet (un-)heimlich hinter den Rücken der Beteiligten Regie führt: ich behalte lieber meine vertrauten Probleme und tausche sie nicht gegen ungewisse Neuerungen und Veränderungen! Mögliche zukünftige individuelle Einschränkungen drohen mehr als die aktuellen Schwierigkeiten zu pieken. So kann jede Gruppe ihr Recht auf Unzufriedenheit wahrnehmen, wenn sie damit zufrieden ist. Und nicht wenige Gruppen kommen damit jahrelang irgendwie zurecht.

Und niemand kann daran etwas ändern? Doch, es bleibt natürlich nicht auf Dauer so, doch das ist der Stoff für einen anderen Tag….