AGBeratung

Forever young?

20.11.2018

Es ist noch nicht sehr lange her, da feierte ein langjähriges Gemeinschaftsprojekt sein Jubiläum mit einer kulturellen und thematischen Veranstaltungswoche. Viele alltagspraktische Inhalte aus dem Gruppenleben wurden öffentlich debattiert und verallgemeinernt verortet. Mit dabei: der Generationswechsel innerhalb von Projekten. Viele Kollektiv-Gründer*innen der 80iger Jahre und dauerhafte Mitstreiter*innen gehören inzwischen zur Generation 60+, wollen andere Dinge im Leben realisieren oder sind aus anderen Gründen auf dem Weg in die zweite Reihe bzw. aus dem Projekt. Der Großteil aller anderen in länger bestehenden Projekten kennt die Geschichten der Aufbau- und Gründungszeit wenigstens aus lebhaften Berichten. Und zunehmend mehr wissen über die ursprünglichen Ziele und Motive nur aus zweiter Hand, aus einer verblassenden Vorzeit.

Zurück zur Diskussionsveranstaltung. Das Thema Generationswechsel nahm lebendig Fahrt auf und es erschien endlich wesentlich mehr als nur ein Hoffnungsschimmer. Der große Wert früherer Erfahrungen wurde vielstimmig vorgetragen. Die Wertschätzung der ‚bewährten’ und ‚verdienten’ Genoss*innen war einmütig Konsens. Die Erfahrenen wären für die Jüngeren ein immerwährender Quell von Erkenntnissen. Und das Lernen aus den wertvollen Erfahrungen der Vergangenheit die Projektgrundlage überhaupt. Insgesamt sind die Begegnungen, der Austausch und die produktive Ergänzung zwischen Erfahrenen und Newcomern ein belebender sozialer Prozess…. Donnerwetter, wie konnte uns als externe Berater*innen so eine wunderbare Geschichte in der Entwicklung von Selbstverwaltung entgehen? Warum haben wir aus der Arbeit in Projektgruppen mehrheitlich ganz andere, sprich sehr problematische Eindrücke?

Meine völlig verwunderten Nachfragen förderten dann zu Tage, dass die Diskussionsbeiträge die Wunschvorstellungen der Beteiligten widerspiegeln. So erhoffen sich sehr viele einen gelungenen und sinnvollen Personenwechsel in ihren Projektgruppen. Meine Wahrnehmung stellte sich somit (leider) doch nicht als so fehlerhaft heraus, denn als alltägliche Realität wurde ein anderes durchaus identisches Bild gezeichnet.

Die Ab- und Weitergabe von Verantwortung und Einfluss von langjährigen Mitstreiter*innen auf neuere und/oder jüngere läuft selten sehr harmonisch, birgt vielmehr häufig anhaltende Konfliktlinien. Und sie bringt nicht nur in Ausnahmen Projekte an ihre Grenzen und darüber hinaus! Sehr vieles wirkt in dem komplizierten Veränderungsprozess zusammen. So tun sich bewährte Projektmitglieder durchgängig schwer überhaupt ihre tragende Rolle zu verändern und auf andere zu übertragen. Jüngere beschweren sich, dass ihnen nicht ernsthaft Verantwortung zugetraut wird und Ältere darüber, dass Jüngere nicht richtig zubeißen und sich zu wenig engagieren. Aussteigende befürchten z.B. einen Verlust an persönlicher Bedeutung und der sozialen Dazugehörigkeit, Einsteigende mühen sich vergeblich in den ‚Inner Circle‘ vorzudringen. Traditionen und Gewohnheiten in Abläufen werden im Projektalltag fortgeführt, nicht weil sie angemessen und passend sind. Sondern weil zum Abschneiden ‚alter Zöpfe’ müsste langjährigen Genoss*innen wirksam widersprochen werden. Jüngere Aktive gründen mehrheitlich u.a. aus diesen Gründen lieber ihre eigenen Ensembles und wiederholen zwangsweise viele längst erkannte Fehler. Ältere halten in vielen Projekten unbeirrbar selbst dann ihren Kurs, wenn dadurch ein Ende des gesamten Vorhabens in wahrscheinliche Nähe rückt. Das Zulassen von Veränderungen durch neue und oftmals jüngere Mitstreiter*innen wollen oder können viele Erfahrene schwer aushalten. Ein frustriertes Hinausschleichen oder ein unwürdiges Hinaus-gedrängt-werden erscheinen manchmal als drohende Alternativen. Die Probleme, der Streit oder auch der Stillstand durch diese zweifelsfrei berechtigten, jedoch natürlich gegensätzlichen Interessen und Bedürfnisse legen nicht wenige Gruppen lahm, okkupieren mitunter die verfügbaren Kräfte aller Beteiligten.

Die Kolumne kann nur mit dünnen Worten diesen komplexen und hochemotionalen Prozess in langjährigen Gemeinschaften ansprechen. Vor allem, weil er bei Personen- und gelegentlichen Generationswechsel meist ‚nur’ schwelt oder tabuisiert wird, zu gefährlich für alle Seiten! Gerne würde ich uns wünschen, dass wir uns die eingangs dargestellten Erfolgsstories erzählen können. Ein erster Schritt dahin wäre, wenn er von allen Seiten als ernsthafte Aufgabe benannt und begriffen wird. Und ein zweiter, wenn sich die älteren und erfahrenen Mitstreiter*innen ihrer maßgeblichen Verantwortung zum Gelingen bewusst sind.